In Echtzeit vom Zuschauer zum Mitspieler
Unreal & Pixelstreaming: Technologien aus dem Gaming revolutionieren die digitale Immobilienvermarktung

Robert Rathnow — Unreal Developer
Der Markt gibt es vor: Größtmögliche Transparenz und eine gute Portion Erlebnis werden bei Kaufentscheidungen immer zentraler. Eine Entwicklung, vor der sich auch die Immobilienvermarktung nicht mehr verstecken kann. Neueste Technologien aus der Gaming-Welt setzen genau hier an und heben nun virtuelle Rundgänge auf ein neues, ungekannt stimmungsvolles Level – und das leicht zugänglich von der heimischen Couch aus.
Der B‑VR-Entwickler Robert Rathnow erweckt genau diese Möglichkeiten zum Leben. Im Interview erzählt er uns mehr über seine Arbeit, die neuen Möglichkeiten und Chancen, die die Gaming-Branche für die Immobilienvermarktung eröffnet – und warum die mehr mit einer Autofahrt als mit einer Zugfahrt gemein haben.
Julia: Robert, Unreal Developer, das klingt ja doch sehr technisch… Was macht ein Unreal Developer in der Immobilienvermarktung?
Robert: Ich entwickle Tools zur digitalen Vermarktung von Immobilien. Das sind z.B. Wohnungsrundgänge oder den Navigator auf der Basis von Unreal.
Julia: Was ist denn Unreal eigentlich?
Robert: Unreal wurde von Epic Games als Entwicklungsumgebung für das Gaming entwickelt. Die Prämisse ist bis heute, dass es als Open Source-Lösung für jeden verfügbar sein soll. Mit einer schnell wachsenden Community hat die Unreal Engine sich über die Jahre zu einem der führenden Entwicklungsplattformen für Realtime-Anwendungen entwickelt.
Viele unserer technischen Tools kommen ja aus anderen Bereichen, da der Markt für Architekturvisualisierung einfach nicht groß genug ist, um eigene Software dafür zu entwickeln, also nehmen wir bereits Existierendes und “bauen” es für unsere Zwecke um.
In anderen Branchen wie der Automobilindustrie setzt man schon länger auf Unreal, dort ist es die Grundlage für alle Konfiguratoren. Wenn ich mir also mein Wunschauto zusammenstellen möchte und einzelne Komponenten anklicken kann, liegt dort immer ein 3D-Unreal-Modell des Autos dahinter.
Das Besondere an Unreal
Julia: Was ist das Besondere an Unreal?
Robert: Die Entwicklung in Unreal ermöglicht viele neue und spannende Ansätze immersive Produkte zu erschaffen, die einen hohen Grad an Realismus und Funktionalität bieten.
Unreal ist erst einmal sehr technisch, gerade wenn es um die Implementierung von Funktionalität geht. Der große Vorteil an der Entwicklung in Unreal ist, alles was angepasst wird, geschieht in Echtzeit, egal ob es um Materialanpassung oder Lichtänderung geht, man sieht sofort die Ergebnisse und kann diese bis ins kleinste Detail ausarbeiten. Besonders bei Rundgängen kommt dies zum Tragen.
Julia: Rundgänge gibt es doch schon eine ganze Weile. Was hat Unreal denn konkret mit Wohnungsrundgängen zu tun?
Richtig, aber das sind Rundgänge auf der Basis von 360 Grad Panoramen, das ist eigentlich heute bei den meisten Herstellern immer noch der Standard. Klassische Rundgänge wie man sie kennt, bieten nur einen begrenzten Bewegungsradius zu vordefinierten Punkten.
Es ist als würde man mit einem Zug fahren anstatt mit einem Auto. Man kann immer nur an vorgeschriebenen Orten aussteigen und sich umsehen und dann muss man wieder in den Zug, um zum nächsten geplanten Ort zu kommen. Man ist sehr eingeschränkt, in dem was man sich anschauen kann. Realtime bzw. Unreal sprengt diese Grenzen und ermöglicht es, sich frei zu bewegen.
Es ist wie Autofahren, ich kann selbst entscheiden, wo ich halte, was ich mir ansehe und wenn ich Lust habe, kann ich auch über den Acker donnern.
Das hat mir schon immer gut gefallen, deshalb habe ich schon vor Jahren angefangen, mich um die Weiterentwicklung der Rundgänge zu kümmern, so dass wir jetzt Rundgänge ausschließlich auf der Basis von Unreal produzieren können.
Freie Bewegung
Julia: Warum ist diese “freie” Bewegung so wichtig?
Robert: Naja, die Bewegung ist ja immer noch nicht ganz frei, aber doch deutlich freier. Die freie Bewegung entspricht ja der natürlichen Bewegungsform des Menschen. Wir kommen somit zum ersten Mal von der reinen Betrachtung zu einer virtuelle Begehung, tauchen also ein in die nicht existente Welt.
Wie im realen Leben bilden Objekte wie Wände oder Möbel physikalische Hindernisse. So entsteht das Gefühl, man bewege sich tatsächlich in seiner zukünftigen Immobilie. Wenn man dann noch die VR-Brille aufsetzt, dann wird es ganz verrückt.
Julia: Das klingt spannend., aber ich könnte mir auch vorstellen, dass so viel Transparenz und “Realität” nicht unbedingt von jedem gewünscht ist, wir sind ja schliesslich im Immobilien-Marketing.
Robert: Ja, das mag sein, aber den Wunsch nach mehr Transparenz gibt ja der Markt vor, dem können wir uns gar nicht entziehen. Bei B‑VR entwickeln wir deshalb ganzheitliche digitale Lösung, die diesem Wunsch entsprechen. Wir möchten hinkommen zu Produkten, die einen hohen Erlebniswert für den Endkunden und einen grossen Nutzen für den Vermarkter haben. Früher war man als Wohnungssuchender Betrachter dessen, was mir der Vermarkter zur Verfügung gestellt hat. Um beim Bild mit dem Zug zu bleiben, ich durfte von Bahnhof zu Bahnhof fahren, aber nicht aussteigen. Oder eigentlich habe ich noch nicht mal im Zug gesessen, ich durfte mir nur die Postkarten von Lissabon oder Rom anschauen, dann gab es noch eine Infobroschüre von Tourismusverband und auf der Basis sollte ich dann entscheiden, was mir gefällt. Lange Zeit haben Visualisierungen und Exposés ausgereicht, um zu vermarkten. So etwas geht heute natürlich nicht mehr. Zu jedem Turnschuh finden Sie heute mehr Informationen im Netz und nicht nur das, auch spannende Tools, um diesen zu erleben, selbst zu gestalten. Da müssen wir hinkommen.
Julia: Klingt ja eigentlich super, aber gibt es auch Nachteile?
Robert: Eigentlich kaum… Die einzige Limitierung, die wir derzeit haben, bezieht sich auf das Datenvolumen. Aber im Bereich Realtime ist der Fortschritt derzeit so rasend schnell, dass wir wöchentlich neue Techniken und Prozesse erarbeiten, um schneller photorealistische Ergebnisse zu erschaffen. Noch vor ein paar Wochen hatten wir bei der Qualität noch scheinbar unlösbare Probleme, über die reden wir jetzt schon gar nicht mehr.
Technische Neuerungen
Julia: Was sind denn das für technische Neuerungen, von denen Du da sprichst oder ist das so geheim, dass Du es uns noch nicht verraten willst?
Robert: Nein, das ist überhaupt nicht geheim, ganz im Gegenteil. Wir sind gerade in der Beta-Phase mit einer Technik, die “Pixel Streaming” heisst. Diese Technik kommt auch wieder aus dem Gaming. Sie macht möglich, dass der User bzw. Unreal-Rundgänge überhaupt ohne grossen technischen Zusatzaufwand betrachten kann.
Wenn wir die Möglichkeiten, die uns Unreal bietet, umfänglich nutzen wollen, dann erhöht sich u. a. das Datenvolumen beträchtlich. Licht z.B. spielt bei Visualisierungen eine wichtige Rolle, darüber wird ein Grossteil der Stimmung erzeugt. Mit Unreal können wir das Licht in Echtzeit so berechnen, dass es immer dem aktuellen Standpunkt des Users angepasst wird. Ein anderes Beispiel, das freie, gleichmässige Durchschreiten des Raumes wird ebenfalls durch Unreal ermöglicht. Diese beiden Möglichkeiten verbrauchen wahnsinnig viel Rechnerleistung.
Julia: Dass heisst, man braucht dafür extrem leistungsstarke Rechner?
Robert: Eben nicht mehr, deshalb setzen wir ja genau auf “Pixel Streaming”, um unsere Erlebnisse ohne große Anschaffung von Technik jedem zur Verfügung zu stellen. Man kann sich “Pixel Streaming” ein bisschen wie Netflix vorstellen, nur dass der “Zuschauer” zum “Mitspieler” wird.
Gestreamt wird z.B. ein Rundgang in Form eines Videos. Der Vorteil dieses Videos ist jedoch, dass man es steuern kann. Und das in jeder Form, die wir definieren. Ob Licht, Materialien, Objekte, Grafiken, den interaktiven Inhalten sind keine Grenzen gesetzt.
Wir wollen auf der einen Seite viel Transparenz schaffen, aber auf der anderen Seite wollen wir den Erlebniswert stark ausbauen. Der Interessent soll sich vom eigenen Sofa ein umfassendes Bild machen können, aber vorallem soll er emotional stark gebunden werden. Das hat den Vorteil für den Vermarkter, dass er nur noch Interessenten betreuen muss, die ein ganz konkretes Interesse am Objekt haben.
Ein Beispiel
Julia: Kannst Du da bitte ein Beispiel nennen.
Robert: Was passiert denn normalerweise in einem belebten Raum. Da brennen Kerzen, der Fernseher läuft und in der Küche wird gekocht…
Man stelle sich also ein Wohnzimmer mit Kamin vor. Draussen schneit es, warmes Licht erleuchtet den Raum, im Kamin flackert ein kleines Feuer und man hört das leichte Knacken des lodernden Holzes. Als man sich dem Fenster nähert, erspäht man im Schnee einen Fuchs, der durch den Garten streift. Wie der Zufall es will, hat man in jenem Moment eine Kamera zur Hand, um diesen Moment festzuhalten.
Das ist Unreal! Und PixelStreaming macht möglich, dass wir es unkompliziert sehen, erleben können.
Julia: Mit VR-Brille nehme ich an?
Robert: Nein, die braucht man Gott sei Dank nicht mehr. Die Rundgänge können Sie von jedem Endgerät anschauen anschauen und immer in der gleichen Qualität, auch Mobil. Es gibt auch keine Anforderungen an die Technik. Das ist das Tolle an Pixelstreaming. Bevor es Pixelstreaming gab, brauchten auch die Gamer Hochleistungs-Rechnern, teure Grafikkarten, mussten Programme installieren. Das braucht man heute alles nicht mehr, da es eine cloudbasierte Lösung ist.
Unsere Erlebnisse können über diverse Medien betrachtet und gesteuert werden, klassisch per Maus oder Tastatur, per GamePad, auf einem Touchscreen, dem Smartphone oder mit Controller und VR-Headset. Welcher der intuitivste Weg ist, das erarbeiten wir immer speziell für den Anwendungsfall.
Wie schon gesagt, im Prinzip ist es so, als würde man streamen oder auf Youtube ein Video schauen. Die Internetverbindung, die dafür reicht, reicht dann auch für die Rundgänge.
Ach so, apropos Anschauen, ist ja momentan auch grad sehr aktuell, das Thema Kontaktlose Besichtigung oder Online-Besichtigung. Für Vermarkter ist und bleibt ja der persönliche Kontakt eigentlich sehr wichtig, der wir bei digitalen Vermarktungen natürlich geringer. Mit den von uns entwickelten Rundgängen ist es aber möglich, dass sich beide zusammen in der Wohnung verabreden und gemeinsam die Tour machen. Das finde ich ja persönlich ja sehr spannend, weil es den Erlebniswert stark erhöht.
Julia: Du sagtest vorher, dass Ihr Euch noch in der Beta-Phase befindet. Was heisst das?
Robert: Im Prinzip funktioniert jetzt schon alles. Aber wie gesagt, wir bedienen uns immer der Technik aus anderen Bereichen bedienen und müssen diese für unsere Zwecke anpassen. Das tun wir gerade mit Hochdruck. In der Beta-Phase arbeiten wir auf der B2B-Ebene mit unseren Kunden mit dieser Lösung. Wir machen z.B. die Feedback-Schleifen über diese Anwendung. Beta-Phase heisst ja immer bis zur Marktreife testen und das können wir super mit diesem schon ziemlich nützlichen Tool.
Julia: Wann rechnest Du denn mit der Marktreife?
Robert: Ich denke, dass wir im späten Frühling soweit sind, früher Sommer aber sicherlich.
Julia: Kannst Du uns vielleicht noch einen Blick in die Zukunft gewähren?
Robert: Schwierig zu sagen, ich bin auch kein Prophet und bei dem derzeitigen Entwicklungstempo haben wir ja ständig Neuerungen. Aber generell denke ich, dass die klassische Produktion durch die Produktion auf der Basis von Realtime abgelöst wird. Das Problem der schlechteren Qualität existiert schon heute nicht mehr und somit ist der Weg frei für Realtime. Die Vorteile dadurch sind jetzt schon enorm, mehr Funktionalität, mehr Flexibilität und unzählige Mehrwerte. Nach Oben gibts da eigentlich keine Grenzen.